Merkmale
Knollengeophyt mit zur Blütezeit zwei zur Mitte hin handförmig geteilten, seitlich zusammen gedrückten Knollen und kurzen, dicklichen Wurzeln. Der Trieb für das Folgejahr entwickelt sich nach der Blütezeit aus der Tochterknolle. Dieser Trieb wächst bis unter die Erdoberfläche; gleichzeitig entwickelt sich am Sprossboden bereits eine neue Knolle, aus der im folgenden Sommer der nächste Trieb heranwächst. Aus dem überwinterten Trieb entwickeln sich im Frühjahr oberirdische Laubblätter und bei kräftigen Exemplaren der Blütenstängel. Der Stängel kann 35 – 100 cm hoch werden. Auf zwei Schuppenblätter folgen 6 – 15 ungefleckte Stängelblätter, von denen die untersten rosettig angeordnet sind. Die Stängelblätter sind linealisch-lanzettlich, 10 – 25 cm lang und 7 –20 mm breit, kielartig nach oben gewölbt, an der Spitze stumpf. Die obersten Blätter sind tragblattartig. Der Blütenstand ist langgestreckt, zylindrisch, allseitswendig, 7 ‒20 cm lang und locker bis dicht mit 10 – 90 kleinen, stark duftenden Blüten besetzt. Die Blütenfarbe schwankt zwischen rosa und rotlila, selten weiß. Die grünen Tragblätter sind 9 – 20 mm lang und aus breitem Grund am Ende zugespitzt, die unteren doppelt so lang wie der gedrehte Fruchtknoten. Die seitlichen Sepalen sind zurückgeschlagen, seitlich oft rückwärts eingerollt, 5 – 8 mm lang und 2 – 3,5 mm breit. Das mittlere Sepal und die Petalen sind etwas kürzer und breiter als die seitlichen Sepalen, sie bilden einen Helm, der die Säule bedeckt. Die Lippe ist dreilappig, breiter als lang, ohne Zeichnung, die Seitenlappen vom Lippengrund abwärts nach außen weisend; der Mittellappen meist etwas vorgezogen. Der stecknadelförmige Sporn ist 13 – 20 mm lang, abwärts gebogen und im hinteren Teil sichtbar mit Nektar gefüllt. Er ist eineinhalbmal bis doppelt so lang wie der Fruchtknoten. Der Fruchtansatz ist sehr hoch bis auf die obersten Blüten, die regelmäßig verkümmern.
Vegetations- und Blühzeiten
In Baden-Württemberg tritt G. conopsea in zwei Blühschüben auf. In niederen Lagen beginnt eine frühblühende Sippe bereits ab Mitte Mai zu blühen, während die später blühende Sippe bei vergleichbarer Höhenlage ca. 3 ‒ 4 Wochen später blüht, öfters gleichzeitig mit G. densiflora.
Variabilität
Die Maße der einzelnen Pflanzenteile von Gymnadenia conopsea variieren erheblich. Sie ist vorwiegend diploid (2n=40), teils auch polyploid (2n=80, 100, 120). In der Vergangenheit wurden etliche Versuche unternommen, die Art in Unterarten und Varietäten zu unterteilen, die sich bis heute nur teilweise durchgesetzt haben (s.o. Synonymie-Liste). Neuere phylogenetische Arbeiten zeigen einen verzweigten Stammbaum mit einer spätblühenden G. conopsea, die mit G. densiflora näher verwandt ist als mit frühblühender G. conopsea, zwischen denen G. borealis und G. odoratissima stehen (Brandrud et al.2019: 113). Bislang liegen noch keine hinreichenden Untersuchungen über die Morphologie und Molekular-Genetik der als G. conopsea eingestuften Sippen in Baden-Württemberg wie in ganz Deutschland vor; dies bedarf weiterer Untersuchungen (Brandrud et al. 2019: 117). Aus Bayern liegen Beschreibungen abweichender Sippen vor (AHO Bayern 2014: 210 ff), deren genetische Stellung im Stammbaum ebenfalls noch nicht untersucht ist.
Die dichtblütige G. densiflora wird hier als eigene Art geführt (siehe Artenliste). Sie wurde von Wahlenberg 1835 nach einem Vorkommen auf Gotland, Schweden, beschrieben (Baumann et al. 2005, 453); dort blüht sie nach der Heuernte, was sie als spätblühend kennzeichnet. Sie zeichnet sich durch breite Blätter, einen langen dichten Blütenstand mit etwas größeren Blüten aus; sie bevorzugt feuchte Habitate. Diese Varietät ist diploid (2n= 40) und hat Vorkommen u.a. auf der Schwäbischen Alb und am Oberrhein. Wenn darauf abgehoben wird, dass G. densiflora zwei bis vier Wochen nach G. conopsea blühe, besteht dieser zeitliche Abstand zu frühblühenden G. conopsea; mit spätblühenden G. conopsea blüht sie gleichzeitig auf.
In den höheren Lagen der Alpen tritt G. conopsea var. alpina auf; sie ist niederwüchsiger und hat weniger, aber robustere Blüten als die Nominatsippe.
Unterscheidung von ähnlichen Arten
Die Art ist in kaum verwechselbar mit Gymnadenia odoratissima, die in allen Maßen kleiner ist, vor allem hinsichtlich der Spornlänge (3,7 – 5,5 mm).
Hybriden
Hybriden kommen häufig vor mit Gymnadenia odoratissima, sind aber auch bekannt mit Arten aus den Gattungen Dactylorhiza und Nigritella sowie mit Pseudorchis albida.
Wuchsorte
Gymnadenia conopsea besiedelt mehr oder weniger feuchte, basenreiche wie auch mehr oder weniger nährstoffarme humose Lehm- und Tonböden. Die Art kommt in Deutschland verbreitet vor, hier vor allem auf Kalkstandorten. Dort besiedelt sie Feuchtwiesen, Moorwiesen und auch Halbtrockenrasen. Diese können schwachsauer bis basisch sein.
Verbreitung
Gymnadenia conopsea kommt im Flach- und Hügelland sowie in den Alpen vor, var. montana nur in den Alpen bis etwa 2.800 m Höhe.
Gefährdung
Durch großflächigen Nutzungswandel und Intensivierung der Landwirtschaft sind in der Vergangenheit zahlreiche Populationen verloren gegangen. In Naturschutzgebieten sowie Sekundärbiotopen an Straßenböschungen sind aber große Populationen zu finden. In den Kalkgebieten Süddeutschlands ist die Art nur potentiell oder nicht gefährdet, solange die Biotope regelmäßig gepflegt werden.
Vorwarnliste (V): BW, Nördliche u. Südliche Gäulandschaften, Alpenvorland; Randvorkommen (Vr): Odenwald; ungefährdet (*): Schwäbische Alb; gefährdet (3): Ober- u. Hochrhein, Schwarzwald
Literaturhinweise
Der Text wurde überwiegend nach den folgenden Literaturangaben erstellt:
Baumann, H., Blatt, H. & H. Kretzschmar (2005): Gymnadenia conopsea - In: Arbeitskreise Heimische Orchideen (Hrsg.): Die Orchideen Deutschlands: 445 – 452.- Uhlstädt-Kirchhasel.
AHO Bayern (Arbeitskreise Heimische Orchideen Bayern) [Hrsg.] (2014): Die Orchideen Bayerns - Verbreitung, Gefährdung, Schutz.- München.
Baumann, H., Künkele, S. & R. Lorenz (2006): Die Orchideen Europas mit angrenzenden Gebieten. – Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart.
Brandrud, M.K., Paun, O., Lorenz, R., Baar, J. & M. Hedrén (2019): Restriction-site associated DNA sequencing supports a sister group relationship of Nigritella and Gymnadenia (Orchidaceae).- Molekular Phylogenetics and Evolution: 136: 21-28. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1055790319300685?via%3Dihub.
Delforge, P. (2016): Orchidées d´Europe, d´Afrique du Nord et du Proche-Orient, 4. Édition.- Paris.
Text: Dietrich Bergfeld