Merkmale
Rhizomgeophyt, aus dem sich jährlich neue Rhizomglieder entwickeln. Aus diesen treiben neue Sprosse, die unterirdisch überwintern und aus denen im Frühjahr neue Blätter treiben. Mehrsprossigkeit wurde nicht beobachtet. Die Pflanzen erreichen nach Stichproben in Kraichtal, Radolfzell sowie in Franken eine Höhe zwischen 25 und 38 cm mit einer Durchschnittshöhe von ca. 34 cm. Der Stängel ist zierlich und häufig an den Blattansätzen gewinkelt. Am Grunde weist er meistens zwei braune Schuppenblätter auf, auf die 5 - 7 Stängelblätter folgen. Das unterste Stängelblatt ist eiförmig mit einer Länge von 40 - 65 mm und einer Breite von 25 - 30 mm, das zweite weist eine Länge von 50 - 80 mm auf bei einer Breite von 30 - 38 mm. Die oberen Blätter sind schlanker und etwas kürzer. Die obersten ein oder zwei Blätter sind tragblattartig ausgebildet und erreichen fast den Blütenstand. Die Blätter stehen fast wechselständig am Stängel; sie stehen waagerecht ab oder sind leicht hängend bis sichelförmig gebogen. Sie sind nur wenig rinnig und kaum gekielt. Die Blattfarbe ist grün.
Der gestreckte, leicht behaarte Blütenstand ist einseitswendig und trägt 4 - 14 (im Mittel 9 kleine Blüten; sie stehen fast waagerecht ab und sind meistens weit geöffnet; sie wirken quadratisch. Die grünen Sepalen haben eine Länge von 9,0 - 10,0 mm und eine Breite von 5,0 - 5,5 mm, die weißen bis leicht rosafarbenen Petalen eine Länge von 7,5 - 8,0 mm. Die Lippe ist zweigeteilt und kleiner als bei E. helleborine, aber größer als bei var. minor. Die herzförmige Vorderlippe hat eine weiße Grundfarbe und zeigt meistens keinen Kallus. Ihre Breite beträgt 5,5 - 5,7 mm und die Länge 4,4 - 4,5 mm. Die Vorderlippe schlägt nach dem Aufblühen etwas zurück. Die Rostelldrüse ist funktionsfähig. Die Fruchtstände stehen fast waagerecht ab; sie beginnen am Stiel spitz und enden stumpf. Um eine Verfälschung der Daten durch Übergangspopulationen zu vermeiden, wurden die morphologischen Daten an Fundorten ermittelt, an denen die Nominatart nicht in der unmittelbaren Umgebung vorkommt.
Diese Sippe ist von der Nominatart E. helleborine sowie var. minor morphologisch abgesetzt. Neue elektrophysiologische Untersuchungen an mehreren Populationen zeigen ein von E. helleborine und var. minor verschiedenes Duftbouquet. In den Stichproben hatten typische Pflanzen übereinstimmende Duftbouquets, Pflanzen mit hybridogenen Merkmalen wiesen zu E. helleborine tendierende Düfte auf.
Vegetations- und Blütezeit
Diese Unterart blüht Mitte bis Ende Juli fast zeitgleich mit der Nominatart von E. helleborine am selben Standort, bei starker Beschattung wenige Tage später.
Variabilität
Diese Unterart ist in allen Merkmalen des Habitus variabel. Dies betrifft vor allem die Wuchshöhe, die Breite und Länge der Blätter wie auch ihre Stellung und die Anzahl der Blüten. Die angegebenen Maße wurden an den bislang bekannten Fundorten, an denen var. moratoria ohne direkt benachbarte E. helleborine vorkommen, stichprobenartig ermittelt.
Unterscheidung von ähnlichen Arten
Als ähnliche Varietät wurde als E. helleborine var. minor beschrieben. Beide Varietäten kommen in Baden-Württemberg vor. Var minor ist mit 12 - 30 (35) cm gegenüber var. moratoria mit 25 - 38 (42) cm signifikant kleiner. Die Nominatart ist demgegenüber mit mehr als 45 cm deutlich höherwüchsiger. Die Blattzahl der var. moratoria (meistens 7) und Blütenzahl (im Mittel 9) ist gegenüber var. minor (3 oder mehr Blüten, im Mittel 5) höher. Die mehr oder weniger quadratische Blütenform ist einander zum Verwechseln ähnlich, wobei die Blüten von var. minor etwas kleiner sind. Die Blätter von var. moratoria sind länger und breiter als bei var. minor. Das erste Blatt von var. moratoria setzt höher am Stängel an als bei var. minor. Eine Unterscheidung der beiden eng verwandten Varietäten ist nur in einer Gesamtsicht der jeweiligen Population und im Vergleich aller habituellen Merkmale möglich; eine Bewertung von Einzelpflanzen anhand der Morphologie ist möglicherweise wegen der Überlappung der Maße von Blättern und Blüten nicht ausreichend. Auch sollte berücksichtigt werden, dass Schwankungen der Witterung die Wuchshöhe und die Blütenzahl in der Population beeinflussen. An der biologischen Unterschiedlichkeit der beiden Varietäten besteht kein Zweifel.
Kleinwüchisge Exemplare der „Sonnenform“ von E. helleborine haben hochstehende, spitze, gekielte und stark rinnige Blätter und stehen meist sonnig.
Hybriden
Bislang ist nur der Hybrid mit der Nominatart als Epipactis helleborine subsp. zirnsackiana A. Riechelmann nothosubsp. nat. nov. beschrieben. Aufgrund der besonderen Häufigkeit von Kreuzungen zwischen der Nominatsippe und var. moratoria ergibt sich, dass sie nicht hinreichend genetisch isoliert sind und die Kreuzung eher als Übergangsform und nicht als Hybrid bezeichnet werden sollte.
Wuchsorte
Es handelt sich um eine Waldpflanze, die auch lichtarme Biotope ebenso wie Neottia nidus-avis besiedelt. Sie kommt in Buchen- und Buchenmischwäldern vor.
Verbreitung
Diese Unterart ist bislang nur von einzelnen Fundorten bekannt. Durch Headspace-Proben nachgewiesen ist ein Vorkommen am Mindelsee (wegen Lückenschluss der Baumkronen derzeit nicht rezent) auf eiszeitlicher Moränenablagerung, außerdem anhand morphologischer Messungen mehrere Vorkommen im Kraichgau auf Lößboden. Mit der Entdeckung weiterer Vorkommen ist zu rechnen.
Gefährdung
Als Waldsippe ist E. helleborine var. moratoria wenig gefährdet. Allerdings können Kleinvorkommen im Einzelfall durch die Vegetationsentwicklung verdrängt werden. Auf leichten Böden kann Trockenheit während der Vegetationsperiode zum Ausbleiben des Austriebs oder Vertrocknen der Blütenstände führen.
Varietät ohne eigene Bewertung
Literaturhinweise
Der Text wurde überwiegend nach den folgenden Literaturangaben erstellt:
Bergfeld, D. (2009): Erstfunde von Epipactis helleborine subsp.moratoria in Baden-Württemberg (SW-Deutschland).- J. Eur. Orch. 41 (3/4): 519 – 528.
Dietel, J., Bergfeld, D., Berlinghof, N. Riechelmann, A. & M. Ayasse(2015): Taxonomische Untersuchungen an der Täuschblume Epipactis helleborine (L.) Crantz (Epidendroideae, Orchidaceae).- J. Eur. Orch. 47(1): 11-32.
Riechelmann, A. & A. Zirnsack (2008): Epipactis helleborine (L.) Crantz subsp. moratoria A. Riechelmann & A. Zirnsack, eine neue Epipactis-Unterart aus der Nördlichen Fränkischen Alb.- Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 25(1): 57–84.
Riechelmann, A. (2010): Ergänzungen zur Kenntnis von Epipactis helleborine subsp. moratoria - Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 27 (1): 222–235.
Riechelmann, A. (2010): Erratum – Zur Nomenklatur von Epipactis ×zirnsackiana. - Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. (27 (2): 301.
Text: Dietrich Bergfeld