Merkmale
Rhizomgeophyt, aus dem sich jährlich neue Rhizomglieder entwickeln. Aus diesen treiben neue Sprosse, die unterirdisch überwintern und aus denen im Frühjahr neue Blätter treiben. Mehrsprossigkeit wurde bislang nicht beobachtet.
Die Pflanzen bleiben mit einer Höhe von 12 - 30 (35) cm klein. Der Stängel ist zierlich und ist an den Blattansätzen zuweilen etwas gebogen. Am Grunde weist er zwei meist braune Schuppenblätter auf, auf die 4 - 5 (6) Stängelblätter folgen. Sie können am Rand leicht gewellt sein. Das unterste Stängelblatt ist eiförmig mit einer Länge von 15 - 34 mm und einer Breite von 10 - 23 mm. Das zweite Stängelblatt misst 32 - 57 mm in der Länge und 16 - 40 mm in der Breite. Die oberen Blätter sind schlanker und etwas kürzer; nur am äußersten Ende laufen sie spitz zu. Die obersten ein oder zwei Blätter sind tragblattartig ausgebildet und erreichen fast den Blütenstand. Die Blätter stehen fast wechselständig am Stängel; sie können leicht sichelförmig gebogen sein. An trockeneren Standorten können die Blätter auch eher steil nach oben stehen. Sie sind nur wenig rinnig und kaum gekielt. Die Blattfarbe schwankt auch an demselben Fundort von grün bis hellgrün.
Der gestreckte, leicht behaarte Blütenstand ist einseitswendig und trägt 3 - 10 (15) kleine Blüten. Die leicht hängenden grünen Blüten sind völlig offen oder leicht glockig hängend; sie wirken fast quadratisch. Die grünen Sepalen haben eine Länge von 7,5 - 9 (10) mm und eine Breite von 4,5 - 5,5 (6,0) mm, die grün-weißen Petalen eine Länge von 6,5 - 9,0 mm und Breite von 4,0 - 5,0 mm. Die Lippe ist zweigeteilt und relativ klein. Die Hinterlippe ist am Rand weißlich, am Grund tiefbraun und nektarführend. Die herzförmige Vorderlippe hat eine weiße Grundfarbe und hat häufig rötliche Flecken im Bereich der schwach ausgeprägten Wülste. Sie ist am Rand zuweilen leicht gezähnt. Meist ist sie mit einer Breite von (4,0) 4,5 - 5,5 mm und einer Länge von 3,5 - 4,5 mm geringfügig breiter als lang. Die Vorderspitze schlägt nach dem Aufblühen etwas zurück. Die Rostelldrüse ist funktionsfähig. Auch kleinwüchsige Pflanzen mit 12 cm Wuchshöhe kommen zur Blüte. Die Fruchtstände stehen fast waagerecht ab und sind relativ kurz; sie enden stumpf.
Um eine Verfälschung der Daten durch Kreuzungen mit der Nominatart zu vermeiden, wurden die morphologischen Daten an Fundorten ermittelt, an denen die Nominatart nicht vorkommt (vgl. Abschnitt Hybriden). Elektrophysiologische Untersuchungen an mehreren Populationen zeigen, dass sie von der Nominatart E. helleborine sowie var. moratoria verschiedene Duftbouquet besitzen. In der Stichprobe zeigten typische Pflanzen weit auseinander liegender Vorkommen übereinstimmende Duftbouquets, während Pflanzen mit Übergangsmerkmalen zu E. helleborine tendierende Düfte aufwiesen. Dies weist auf eine von der Nominatart separierte Entwicklungslinie hin.
Vegetations- und Blütezeit
Die Pflanzen treiben wenige Tage nach E. helleborine aus und blühen etwa 10 Tage später als die Nominatart, je nach Höhenlage Mitte Juli bis Mitte oder Ende August. Fruchtreife tritt Ende September bzw. Anfang Oktober ein.
Variabilität
Diese Varietät ist in allen Merkmalen des Habitus variabel. Dies betrifft vor allem Wuchshöhe, die Breite und Länge der Blätter wie auch ihre Stellung und die Blütenanzahl.
Unterscheidung von ähnlichen Arten
Eine ähnliche Varietät wurde als E. helleborine var. moratoria beschrieben. Deren Typuspopulation steht in der Frankenalb, kommt aber ebenfalls in Baden-Württemberg vor, wie Headspace-Proben der Blütenbouquets von E. helleborine sowie var. minor und var. moratoria gezeigt haben. E. helleborine var. minor ist mit 12-30 (35) cm gegenüber var. moratoria mit 25–38 (42) cm signifikant kleiner. Die Nominatart E. helleborine ist demgegenüber mit mehr als 45 cm deutlich höherwüchsiger. Die Blattzahl der var. moratoria (meistens 7) und Blütenzahl (im Mittel 9) ist gegenüber var. minor (3 oder mehr Blüten, im Mittel 5) höher. Die mehr oder weniger quadratische Blütenform ist einander zum Verwechseln ähnlich, wobei Blüten von var. minor etwas kleiner sind. Das erste Blatt setzt höher am Stängel an als bei var. minor. Eine Unterscheidung der beiden eng verwandten Varietäten ist nur in einer Gesamtsicht der jeweiligen Populationen und im Vergleich aller habituellen Merkmale möglich; eine Bewertung anhand der Morphologie von Einzelpflanzen ist wegen der Überlappung der Größen- und Zahlenverhältnisse nicht ausreichend. Auch sollte berücksichtigt werden, dass Schwankungen der Witterung die Wuchshöhe und die Blütenzahl in der Population beeinflussen. An der biologischen Unterschiedlichkeit der beiden Varietäten besteht kein Zweifel.
Kleinwüchsige Exemplare der „Sonnenform“ von E. helleborine haben hochstehende, spitze, gekielte und stark rinnige Blätter und stehen meist sonnig.
Hybriden
Bei gemeinsamen Vorkommen mit der Nominatart entstehen Übergangsformen durch gemeinsame Bestäuber. Aus der regelmäßig großen Zahl dieser Übergangsformen ergibt sich, dass beide Formen genetisch nicht hinreichend isoliert sind; das Taxon wurde von Engel & Mathe zunächst auch als Varietät beschrieben. Übergangsformen zeigen gegenüber var. minor einen kräftigeren und höheren Habitus mit mehr und größeren Blättern, größeren Blüten sowie stärkerer Blütenfärbung. Dies verwischt die Merkmale isoliert stehender Populationen der var. minor.
Die Varietät hybridisiert wahrscheinlich mit denselben Arten wie die Nonimatart. Beschrieben wurden Hybriden mit E. atrorubens als E. × schmalhausenii nothosubsp. zaissii sowie mit E. purpurata als E. × schulzei nothosubsp. daissiana.
Wuchsorte
Es handelt sich um eine Waldpflanze, die auch lichtarme Biotope ebenso wie Cephalanthera damasonium und Neottia nidus-avis besiedeln kann; insbesondere zu letzterer kann ihr die Nominatform wegen der meist dunkleren Habitate kaum folgen. Sie kommt in Buchen- und Buchenmischwäldern vor, wurde aber auch in Fichtenforsten gefunden.
Verbreitung
Diese Unterart kommt stellenweise verbreitet in Baden-Württemberg vor. Sie wurde erst vor wenigen Jahren in verschiedenen Landesteilen erstmals gefunden. Headspace-Proben der Typus-Population im Elsass auf Buntsandstein wurden mit Proben von der Schwäbischen Alb auf versauertem Kalk sowie von Freiamt/Gutach im Schwarzwald auf Urgestein verglichen und das Vorkommen der var. minor somit in mehreren Naturräumen auf unterschiedlichen Böden nachgewiesen. Die Gesamtverbreitung ist noch nicht hinreichend bekannt. In den Lösslandschaften des Kraichgaues kommen beide Varietäten vor.
Gefährdung
Als Waldart ist E. helleborine var. minor wenig gefährdet. Allerdings können kleine Populationen durch fortwirtschaftliche Maßnahmen oder zu starke Beschattung infolge Kronenschlusses der Wälder erlöschen.
Varietät ohne eigene Bewertung
Literaturhinweise
Der Text wurde überwiegend nach den folgenden Literaturangaben erstellt:
Bergfeld, D. & N. Berlinghof (2011): Vergleichende Untersuchungen von Epipactis helleborine subsp. minor s.l. in Baden-Württemberg, Griechenland und Elsass. - J. Eur. Orch. 43(4): 807 ff. mit weiteren Nachweisen.
Bergfeld, D. & N. Berlinghof (2012): Erstfund der Hybride Epipactis helleborine subsp. minor × E. purpurata in Baden-Württemberg. – J. Eur. Orch. 44(4): 833 ff.
Dietel, J., Bergfeld, D., Berlinghof, N. Riechelmann, A. & M. Ayasse (2015): Taxonomische Untersuchungen an der Täuschblume Epipactis helleborine(L.) Crantz (Epidendroideae, Orchidaceae).- J. Eur. Orch. 47(1): 11-32.
Engel, R. & H. Mathe (2002): Orchidées sauvages d´Alsave, Saverne.
Riechelmann, A. & A. Zirnsack (2008): Epipactis helleborine (L.) Crantz subsp. moratoriaA. Riechelmann & A. Zirnsack, eine neue Epipactis-Unterart aus der Nördlichen Fränkischen Alb.- Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 25(1): 57–84.
Riechelmann, A. (2013): Epipactis atrorubens (Hoffm. ex Bernh.) Besser x Epipactis helleborine subsp. minor Engel. - eine neue Hybride aus den Nördlichen Vogesen. – Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 30(2): 52–61.
Text: Dietrich Bergfeld