Bemerkung zur Systematik
Nach den Ergebnissen verschiedener genetischer Arbeiten zweigt Orchis anthropohora als erste oder zweite Art nach Orchis italica aus dem Entwicklungsstamm der Gattung Orchis ab. Darum wurde diese Art wieder in die Gattung Orchis eingegliedert, zu der sie ab 1785 nach der Umkombinierung durch Allioni gehört hatte, bis Aiton 1814 wegen des Fehlens eines Sporns die monotypische Gattung Aceras begründete.
Merkmale
Knollengeophyt, der bereits im Spätherbst eine oberirdische Rosette bildet. Die Blattzahl beträgt 4-8, von denen 2-5 am Grund rosettig gehäuft sind. Die bläulichgrünen Blätter sind ungefleckt und zeigen eine deutliche Nervatur; entlang des Mittelnerves sind sie leicht gekielt, am Ende stumpf. Die Länge der Rosettenblätter beträgt zwischen 6 und 9 cm, die Breite zwischen 1,7 und 2,5 cm; der Stängel trägt 2-4 Scheidenblätter, deren oberstes zwischen 1 und 9 cm lang ist, aber den Blütenstand nicht erreicht.
Im Frühjahr entwickeln kräftigere Pflanzen den Blütentrieb, der 15-40 cm hoch wird. Der Blütenstand wird 5-20 cm lang und wirkt schmal und mehr oder weniger locker; er trägt zwischen 10 und 100 mittelgroße Blüten. Die hellgrünen Tragblätter liegen dem gedrehten Fruchtknoten an. Sepalen und Petalen bilden einen halbkugeligen gelbgrünen Helm, der entlang der Nerven und Ränder rotgrün gezeichnet ist. Die 10-16 mm lange Lippe ist tief in drei Lappen gespalten, der längere Mittellappen wiederum zweigeteilt. Die Lippe erinnert durch die lang ausgezogenen Seiten- und Mittellappen an eine menschliche Figur. Die Lippe ist überwiegend gelbgrün, im Bereich der Seiten- u. Mittellappen braunrot. Die Blüte ist nektarführend, weist aber keinen Sporn auf; dies macht die Art unverwechselbar.
Vegetations- und Blütezeit
Anders als bei anderen Arten dieser Orchis-Gruppe bilden sich oberirdische Austriebe aus der Mutterknolle bereits im Herbst. Die Art blüht von Anfang oder Mitte Mai bis Anfang oder Ende Juni je nach Höhenlage. Der Fruchtansatz liegt zwischen 3 % und 20 % und ist wie häufig bei fremdbestäubten Arten mäßig. Die Mutterknolle stirbt nach der Blütezeit ab. Der Trieb für das Folgejahr ist bereits zuvor aus einer Tochterknolle entstanden, die sich am Sprossboden der Mutterknolle ab dem Winter bis zum Ende der Vegetationsperiode entwickelt hat.
Variabilität
Die Variabilität beschränkt sich auf Schwankungen in den Maßen sowie die Blütenfärbung. Diese variiert zwischen grün und orange bis rotbraun.
Hybriden
Auch in unserem Bundesland werden Hybriden mit Orchis militaris, O. simia sowie selten O. purpurea gefunden. Dies zeigt die enge genetische Verwandtschaft mit dieser Orchis-Gruppe.
Unterscheidung von ähnlichen Arten
Aufgrund der spornlosen und meist hellgrünen Färbung der Blüte ist die Art unverwechselbar.
Wuchsorte
Die Art besiedelt trockenwarme und stickstoffarme Standorte auf Kalk- und kalkhaltigen Lehm- und Lößböden.
Verbreitung
In Deutschland kommt sie nur auf Kalk- und Lößböden vor. In Baden-Württemberg besiedelt sie darum vor allem den Oberrheingraben, die Kalkgebiete des mittleren Neckarraumes sowie wenige Stellen der Schwäbischen Alb und Lößlandschaften wie z. B. im Kraichgau.
Gefährdung
Die Art ist in Baden-Württemberg vor allem durch Nutzungsaufgabe und Verbuschung gefährdet. Sie bedarf an ihren Standorten gezielter Pflegemaßnahmen.
Gefährdet (3): BW, Ober- u. Hochrhein, Nördliche u. Südliche Gäulandschaften; stark gefährdet (2): Schwäbische Alb; vom Aussterben bedroht (1): Alpenvorland, fehlend (-): Schwarzwald, Odenwald
Literaturhinweise
Der Text wurde überwiegend nach den folgenden Literaturangaben erstellt:
Baumann, H., Blatt, H. & H. Kretzschmar (2005): Aceras anthropophorum - In: Arbeitskreise Heimische Orchideen (Hrsg): Die Orchideen Deutschlands: 230 – 235. - Uhlstädt-Kirchhasel.
Baumann, H. (2005): Orchis L. - In: Arbeitskreise Heimische Orchideen (Hrsg): Die Orchideen Deutschlands: 572 – 573. - Uhlstädt-Kirchhasel.
Kretschmar, H., Eccarius, W. & H. Dietrich (2007): Die Orchideengattungen Anacamptis, Orchis, Neotinea: 227, 278. – Bürgel.
Text: Dietrich Bergfeld