Bemerkung zur Systematik
Nach ersten morphologischen Erkenntnissen vor über 200 Jahren und den Ergebnissen neuerer genetischer Arbeiten wurden Neottia ovata wie auch N. cordata mit Neottia nidus-avis durch BATEMAN 2009 in einer Gattung vereinigt.
Merkmale
Rhizomgeophyt. Die Sprossanlagen für Wurzelschösslinge des Folgejahres sind bereits zur Blütezeit entwickelt. Aus ihnen entwickelt sich im zeitigen Frühjahr ein Blattpaar. Kräftigere Pflanzen bilden einen Blütentrieb, der 23-60 cm hoch und am Grunde mit wenigen manschettenartigen Scheidenblättern besetzt ist. Das fast gegenständige Blattpaar liegt im unteren Viertel des Stängels, beide Blätter sind etwa gleich groß, breit-eiförmig, deutlich genervt, unterseits hellgrün, oberseits matt grün, 4-14 cm lang und 2-9 cm breit. Stängel bis zum Blattpaar kahl, nach oben drüsig behaart.
Der Blütenstand ist langgestreckt, allseitswendig, 7 ‒25 cm lang und locker gleichmäßig mit 14 ‒ 65 Blüten besetzt. Die Blüten sind grün bis gelb-grün gefärbt mit kurzen dünnen Stielen. Die grünen Tragblätter sind herzförmig, zugespitzt, 3 ‒ 6 mm lang und 2-3 mm breit, fast halb so lang wie der Fruchtknoten. Die Sepalen und Petalen sind konkav, einen lockeren Helm bildend, der das Säulchen von oben bedeckt. Die Lippe ist spornlos, 7 ‒ 11 mm lang und 4 ‒ 7 mm breit, tief zweispaltig mit weit vorgezogenen und abgerundeten Spaltstücken. Diese sind 3-5 mm lang und 1 ‒ 2 mm breit. Das Nektarium ist an der Lippenbasis von zwei Leisten begrenzt, zur Lippenmitte hin in eine kräftige Längsschwiele übergehend, auf der meist glänzende Nektartröpfchen sichtbar sind. Fruchtknoten und Frucht sind keulenförmig, langgestielt, 7 ‒ 14 mm lang und 3-5 mm dick, davon 4 ‒ 7 mm Stiellänge. Die Pollinien sind gelb, körnig, ungestielt, über der Narbe stehend, und ohne Viscidien. Die Samen sind 0,5 ‒ 0,7 mm lang und etwa 0,2 mm breit.
Vegetations- und Blütezeit
Die Blütezeit ist je nach Höhenlage Mitte Mai bis Anfang August (im Gebirge), Die Hauptblütezeit ist Ende Mai bis Mitte Juni. Der Fruchtansatz ist hoch und schwankt zwischen 80 % und 96 %. Die Fruchtreife setzt ähnlich wie bei Neottia cordata noch während der Blütezeit ein, so dass man am gleichen Exemplar im unteren Bereich ausgereifte Früchte und im obersten Bereich noch knospende Blüten finden kann. Dies spricht dafür, dass meist Selbstbestäubung vorkommt. Aber auch verschiedenste Bestäuber wurden auf der Art beobachtet.
Die vegetative Vermehrung durch Umbildung von echten Wurzeln in Sprosse ist wesentlich seltener als bei Neottia cordata. Die Fruchtreife ist ab Ende Juni.
Variabilität
Neottia ovata ist nur wenig variabel. Ähnlich wie Neottia cordata kann die Zahl der Stängelblätter ausnahmsweise drei oder vier betragen. Auch die Form, Größe und Nervatur der Blätter kann innerhalb gewisser Grenzen variieren, auch sind panaschierte Blätter beobachtet worden. Dies betrifft auch den Blütenstand, der dicht oder lockerblütig entwickelt ist, sowie die Blütenlippe, die in der Form und Länge unterschiedlich ausgebildet sein kann. Auch sind ebenfalls Monstrositäten mit geteiltem Blütenstand oder lippenlose Blüten bekannt.
Unterscheidung von ähnlichen Arten
Wichtigste Unterschiede zu anderen Arten: Beim Großen Zweiblatt sind die deutlich größeren Blätter breit-eiförmig, beim Kleinen Zweiblatt sind die herzförmigen Blätter viel kleiner und sitzen höher am Stängel. Sonst ist diese Art unverwechselbar.
Hybriden
Es sind keine Hybriden bekannt, weder mit den anderen Neottia-Arten noch mit anderen Arten von heimischen Orchideen.
Wuchsorte
Frische wechselfeuchte, nährstoff- und basenreiche, milde, mäßig saure, meist tiefgründige Lehm- und Tonböden. Das können folgende Biotope sein: Zwergstrauchheiden, Borstgras-Rasen und Bergwiesen, Trocken- und Halbtrockenrasen, Feuchtwiesen, Laub- und Tannenwälder, feuchte Laubmisch-, Bruch- und Auenwälder, sowie Wälder und Gebüsche trockenwarmer Standorte.
Verbreitung
In den meisten Gebieten Deutschlands ist Neottia ovata annähernd flächendeckend verbreitet. Sehr wahrscheinlich sind sogar noch erhebliche Kartierungslücken vorhanden, weil die häufige Art in manchen Fällen gerade wegen ihrer Häufigkeit nicht erfasst wurde. Verbreitungslücken gibt es in den großen Industriegebieten sowie in Bereichen mit ausgedehnter intensiver Landwirtschaft. Auch in den stark sauren Lagen fehlt sie.
Gefährdung
Die Art ist in Baden-Württemberg als nicht gefährdet eingestuft worden. Allerdings ist sie auf hinreichende Bodenfeuchtigkeit angewiesen, so dass es durch den Klimawandel zu Bestandsrückgängen kommen kann.
Nicht gefährdet (*): BW, alle Naturräume
Literaturhinweise
Der Text wurde überwiegend nach den folgenden Literaturangaben erstellt:
Baumann, H., Blatt, H. & H. Kretzschmar (2005): Listera ovata - In: Arbeitskreise Heimische Orchideen (Hrsg.): Die Orchideen Deutschlands: 498 – 503.- Uhlstädt-Kirchhasel.
Bateman, R.M. (2009): Evolutionary classification of European orchids: the crucial importance of maximising explicit evidence and minimising authoritarian speculation.- J. Eur. Orch. 41 (2): 243 – 318.
Künkele, S. & H. Baumann (1998): Listera ovata.- In: Sebald, O., Seybold, S., Philippi, G. & A. Wörz: Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württembergs, Bd. 8: 286-462.- Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart.
Text: Siegfried Erhardt