Merkmale
Rhizomgeophyt, aus dem sich jährlich neue Sprosse entwickeln, die unterirdisch überwintern und im Frühjahr oberirdische Triebe entwickeln. Nicht blühende Stängel werden selten beobachtet, ebenso wenig Büschelbildung. Die Stängel werden nur 15 - 50 cm hoch. Sie sind oben dicht graufilzig behaart und tragen 3 - 9 schmale, kurze Blätter, die 1,5 - 5,5 cm lang und 0,7 - 1,5 cm breit werden. Sie sind graugrün gefärbt und meist violett überlaufen.
Der Stängel trägt einen bis 20 cm langen Blütenstand mit 2 - 25 kleinen Blüten, die meistens glockig nickend geöffnet sind, zuweilen geschlossen bleiben. Zu beobachten ist, dass Populationen bei trockener Witterung geschlossene Blüten zeigen und in feuchteren Jahren geöffnete Blüten. Die Perigonblätter sind graugrün, oft violett überlaufen. Die seitlichen Sepalen sind leicht abwärts gerichtet. Die Lippe ist zweigeteilt. Die weiß bis rosa gefärbte Hinterlippe ist napfförmig und enthält wenig Nektar. Die Vorderlippe ist herzförmig, schwach zugespitzt und am Rande gekerbt, weißlich grün, am Grunde mit weißen warzigen Höckern. Eine Rostelldrüse ist vorhanden, trocknet aber rasch ein. Aufgrund ihres vanille-ähnlichen Geruchs, der Nektarbildung und der Ausbildung der Rostelldrüse ist E. microphylla als allogam einzustufen. Als Bestäuber sind Bienen bekannt. Als Blütenbesucher wurden Ameisen beobachtet. Der Fruchtansatz schwankt zwischen 51% und 66 %. Autogamie ist möglich; allerdings ist die Narbe von den Pollinien entfernt und der nicht besonders hohe Fruchtansatz spricht gegen zuverlässig eintretende Autogamie.
Vegetations- und Blütezeit
Der Austrieb erfolgt ab Anfang Mai und die Blütezeit liegt zwischen Anfang Juni und Mitte Juli. Aufgrund ihrer Färbung und der zierlichen Blätter werden die Pflanzen an ihren Waldstandorten häufig übersehen. Die Fruchtreife tritt ab August ein. Die Pflanzen ziehen danach rasch ein und sind dann kaum mehr aufzufinden.
Variabilität
Die Variabilität erstreckt sich meistens lediglich auf die Färbung der Blüten. Die Lippenfärbung kann grün-weiß oder auch rosa überlaufen sein. Sehr selten gibt es chlorotische Exemplare.
Unterscheidung von ähnlichen Arten
In Baden-Württemberg gibt es keine Arten, mit denen eine Verwechslungsgefahr besteht; E. atrorubens ist in allen Maßen größer.
Hybriden
Hybriden mit E. atrorubens und E. helleborine treten sehr selten auf. Bei dem Hybriden mit E. atrorubens beeindrucken die besonders kleinen roten Blüten.
Wuchsorte
E. microphylla besiedelt ausschließlich Waldstandorte über Kalkböden oder kalkhaltigen Sand- oder Lößböden. Die Hauptvorkommen finden sich in Buchenwäldern und schattigen Gebüschen. Selten sind Vorkommen in Nadelwäldern.
Verbreitung
In Baden-Württemberg gibt es wenige Populationen in der Bodenseeregion und den Tälern der Donau, des Neckars und des Rheins. Auf der Schwäbischen Alb und im Nordosten des Landes wurden bislang keine Vorkommen bekannt. Bei Rastatt ist eine Population erloschen.
Gefährdung
Als reine Waldart ist E. microphylla vor allem durch Kahlschläge bedroht sowie durch Konkurrenz mit aufkommenden Hochstauden.
Gefährdet (3): BW, Südliche Gäulandschaften, Schwäbische Alb, Alpenvorland; stark gefährdet (2): Ober- u. Hochrhein, Nördliche Gäulandschaften; fehlend (-): Schwarzwald, Odenwald
Literaturhinweise
Der Text wurde überwiegend nach den folgenden Literaturangaben erstellt:
Baumann, H., Blatt, H. & H. Kretzschmar (2005): Epipactis microphylla - In: Arbeitskreise Heimische Orchideen (Hrsg.): Die Orchideen Deutschlands: 398 – 402.- Uhlstädt-Kirchhasel.
Baumann, H., Künkele, S. & R. Lorenz (2006): Die Orchideen Europas mit angrenzenden Gebieten.- Stuttgart.
Text: Dietrich Bergfeld