Orchidee des Jahres 1996
Cypripedium calceolus L. – Frauenschuh
Der Frauenschuh ist die stattlichste unserer heimischen Orchideen. Zu der Gattung Cypripedium gehören weltweit 44 Arten. In Mitteleuropa kommt von dieser Gattung nur der Frauenschuh vor. Man rechnet in Deutschland mit 50 - 80 000 Einzelpflanzen, wovon die größten Bestände in Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg wachsen. In Baden-Württemberg finden sich etwa 17 000 Pflanzen, davon etwa 70% von der Wutach über die Baar bis zur Südwestalb.
In allen Ländern steht der Frauenschuh unter strengstem Schutz (EU: FFH-Richtlinie, Anhang II). Seine Blüten sind nicht nur die größten, sondern auch die prächtigsten von allen Orchideenblüten unserer Heimat.
Der Frauenschuh blüht in einem warmen Frühjahr schon ab Anfang Mai; in einem späten Frühjahr lässt er sich auch schon mal Zeit bis in die Junimitte. Gar nicht so selten erfrieren in Spätfrösten die Blüten, gelegentlich sogar der gesamte Austrieb. Die Blüte dauert 2 - 3 Wochen, wobei befruchtete Blüten schnell abblühen. Die Befruchtungsrate liegt um 22 %. Der Frauenschuh wird von Insekten, meist von Sandbienen der Gattung Andrena besucht. Diese fallen durch die Öffnung in die Blüte. Die glatten Wände verhindern ein Entkommen (Kesselfallenblüte). Eiweiß- und zuckerhaltige Futterhaare werden abgeweidet. Der einzige Ausweg führt über den Geschlechtsapparat (Gymnostemium) zu einer fensterartigen Wand, die eine Öffnung vortäuscht. Die Biene berührt zuerst die Narbe und dann eine der beiden klebrigen Pollenmassen und nimmt so für die nächste Blüte Pollen mit. Nach vier Monaten ist der Same ausgereift. Eine Samenkapsel enthält ca. 40 000 Samen. Der Same wird wegen seiner Leichtigkeit vom Wind verdriftet, falls er nicht vom Regen in die Umgebung gespült wird. So kann der Frauenschuh sowohl bestehende Standorte verstärken als auch neue Gebiete besiedeln.
Etwa drei bis vier Jahre nach Samenreifung ist ein erstes grünes Laubblatt zu sehen, nach weiteren drei bis fünf Jahren ist die Pflanze blühfähig. Von der Wurzel treiben Glieder (Ramets) aus. Jedes Glied kann nur einmal einen blühfähigen Spross treiben. Ein Spross bildet von einer bis zu vier Blüten (ganz selten) aus. In den letzten Jahren wurden zwei Blüten an einem Spross offensichtlich häufiger. Der Frauenschuh kann an günstigen Standorten prächtig gedeihen. Es wurden schon 43 blühende Stängel an einem Stock gezählt, wobei nur ein Drittel bis maximal die Hälfte aller Glieder blühfähig sind. Im fortgeschrittenen Stadium ist die Pflanze nicht mehr auf Wurzelpilze angewiesen.
Der Frauenschuh gedeiht meist in lichten Wäldern. Vereinzelte Stöcke wagen sich auch in die volle Sonne, sind aber dort sichtlich kleiner als im die im Halbschatten wachsenden Pflanzen. Laubwälder sind durch ihr Unterholz meist weniger geeignet als lichte Kiefernwälder. Sogar in Fichtenforsten kann man gute Standorte finden. Ideal ist für den Frauenschuh ein Kronenschluss von 80 Prozent.
Ihre Pracht ist dieser Pflanze in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zum Verhängnis geworden. Der Frauenschuh wurde nicht nur zu Sträußen gepflückt, sondern auch ausgegraben und auf Märkten zum Verkauf angeboten. Es gab außerdem Dörfer, in denen jeder seinen Frauenschuh im Garten haben „musste“. Das hat in nicht wenigen Landschaften den Frauenschuh zum Verschwinden gebracht. In den letzten 20 Jahren hat erfreulicherweise ein Umdenken eingesetzt, sodass die Nachstellungen zurückgegangen sind, wenn auch Kriminelle immer noch wissen, wie sie an das Objekt ihrer Begierde bzw. ihres Profits gelangen. Außerdem hat das dichte Unterholz in den Wäldern nicht wenige Standorte ausgelöscht. Ein zu dichter Kronenschluss tat ein Übriges, dass der Frauenschuh in den letzten Jahrzehnten in unserer Heimat um fast 70 Prozent abgenommen hat.
Glücklicherweise hat mancher Förster inzwischen die Verantwortung für diese Kostbarkeit erkannt und dem Frauenschuh wieder Luft verschafft. So wurden z.B. im ehemals staatlichen Forstamt Immendingen Frauenschuhstandorte durchforstet bzw. gepflegt. In diesem Zusammenhang wurden ca. 100 Hektar Kleinprivatwald erworben und der Frauenschuh dort gefördert. Wo man den Frauenschuh kennt und schätzt, finden sich Mittel und Wege, dass er sich wieder vermehren kann. An einigen herausragenden Frauenschuhstandorten hat sich in den letzten Jahren ein regelrechter Tourismus entwickelt, dem man sogar eine positive Seite abgewinnen kann, denn durch solchen Andrang werden andere nicht weniger wertvolle Standorte entlastet und der Eindruck verstärkt, dass der Frauenschuh unseren Schutz verdient.
Text: Rudolf Waßer, Mühlheim
Fotos: Hans Rauschenberger, Ulm