Orchidee des Jahres 1994

Liparis loeselii L. – Torf-Glanzkraut

Liparis loeselii, Blütenstand, 28.06.2004, Kreis Ravensburg, Hans Rauschenberger

Klein und aufgrund der hellgrünen Färbung unauffällig, ist das Torf-Glanzkraut in seinen Wuchsorten zur Blütezeit nicht leicht zu entdecken. Der Name der Pflanze leitet sich von den fettig glänzenden Laubblättern ab. In der Achsel des oberen der beiden grundständigen Laubblätter befindet sich eine Scheinknolle, aus der sich der jeweils nächstjährige Trieb herausbildet. Der Stängel ist bis 15 cm (selten bis 20 cm) hoch und trägt eine lockere Ähre mit 3 bis 15 blassgelben bis gelbgrünen Blüten. Die nach unten gebogene, spornlose Lippe ist im Vergleich zu den fast fadenschmalen Perigonblättern etwas breiter, rinnig und fein gekerbt. Wegen des hohen Fruchtansatzes ist Selbstbestäubung zu vermuten. Die Fruchtreife ist sehr spät; wenn sich Mitte September die ersten Samenkapseln öffnen, haben am Standort gleichzeitig und später blühende Orchideen wie Gymnadenia conopsea und Epipactis palustris längst ausgesamt.

Die kalkliebende Art kommt in Flach- und Zwischenmooren, Hangquellmoren, gerne auch in Verlandungszonen vor. Je nach Höhenlage (in Deutschland bis 900 m) blüht Liparis loeselii von Anfang Juni bis Anfang Juli, wobei die Populationsgrößen stark von den Niederschlagsmengen im Frühling abhängen. In Jahren mit trockenen Frühjahrsmonaten kann die Art auch ganz mit dem Blühen aussetzen.

Liparis loeselii, Blütenstand, 28.06.2004, Kreis Ravensburg, Hans Rauschenberger

Die Bestände der empfindlichen Pflanze sind in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen, hauptsächlich aufgrund der Vernichtung von Feuchtbiotopen durch Düngung und Trockenlegung, aber auch wegen Wegfalls der früher verbreiteten Streuwiesenmahd. Die aktuellen deutschen Restvorkommen konzentrieren sich im Wesentlichen auf den Süden – Bodenseegebiet, Oberschwaben und Allgäu sowie das oberbayerische Alpenvorland –, gleichzeitig der Verbreitungsschwerpunkt in Mitteleuropa. Weitere bedeutendere Refugien befinden sich im östlichen Teil von Brandenburg. In den Roten Listen, auch in der des Europarats, wird die Art als „stark gefährdet“ eingestuft.

Die Europäische Union hat dem Torfglanzkraut einen besonderen Schutz angedeihen lassen: es ist eine nach Anhang II der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie innerhalb der EU geschützte Art und damit ein Teil des Schutzgebietsnetzes Natura 2000, mit dem sich die Staaten der EU die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Europa zu Ziel gesetzt haben. Dies gibt berechtigte Hoffnung für ein Überleben dieses Kleinods unserer Feuchtgebiete.

Für die Erhaltung der Art und Möglichkeit einer Ausbreitung eminent wichtig ist auch der richtige Zeitpunkt der Biotoppflege: aufgrund der späten Fruchtreife kommen Mähtermine erst ab Oktober in Betracht.

Liparis loeselii, fruchtend, 19.06.2007, Kreis Ravensburg, Hans Rauschenberger

Literatur: Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württembergs, Band 8, 1998. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart. ISBN 3-8001-3359-8

Text: Ferdinand Ellenbast, Hergensweiler

Fotos: Hans Rauschenberger, Ulm