Orchidee des Jahres 2014

Der Blattlose Widerbart - Epipogium aphyllum Sw.

Mit der Wahl der Orchidee des Jahres wollen die Arbeitskreise Heimische Orchideen jeweils eine Art in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken, die die Gefährdung von Lebensräumen und Arten besonders symbolisiert. Wenn im Jahr 2014 die Wahl auf den Blattlosen Widerbart gefallen ist, so in der vollen Absicht, den Verlust artenreicher alter und langjährig ungestörter Wälder sowohl in Deutschland als auch in ganz Europa zu thematisieren.

Epipogium aphyllum, Gruppe, Schwarzwald-Baar-Kreis, 30.07.2005, Hans Rauschenberger

Epipogium aphyllum ist in der nördlichen Hemisphäre weit verbreitet, aber überall selten. In seinem großen eurasischen Areal liegen die Vorkommen sowohl in der nördlichen Nadelwaldzone als auch in der gemäßigten Laubwaldzone. Schwerpunkte der Verbreitung des Widerbart in Europa bestehen heute in Skandinavien und in den montanen Lagen der Gebirge. In Deutschland ist der Widerbart in allen Bundesländern nachgewiesen worden, blieb aber stets eine große Seltenheit. In Sachsen, Brandenburg und Schleswig-Holstein ist die Art bereits seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gefunden worden. In allen anderen Bundesländern mit Ausnahme von Baden-Württemberg gilt sie als stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Orchideenarten bildet der Widerbart kein Blattgrün aus. Der oberirdische Teil der Pflanze besteht aus einem blattlosen, blassen, kahlen und 5 - 20 cm hohen Stängel. Die wenigen Blüten besitzen sechs in zwei Kreisen angeordnete Blütenblätter. Auffällig ist die nach oben gerichtete Blütenlippe, die mit vier bis sechs Reihen purpurfarbener Papillen besetzt ist. Die unterirdischen Organe bestehen aus einem korallenartig geformten Rhizom, aus dem sich lange Ausläufer bilden, über die sich die Art auch ungeschlechtlich vermehren kann. Durch das Fehlen des Blattgrüns und die dadurch bedingte Unfähigkeit zur Photosynthese ist der Widerbart lebenslang auf die Symbiose mit Wurzelpilzen angewiesen. Über diese bezieht er die benötigten Nährstoffe.

Durch die Ernährung über Wurzelpilze ist der Widerbart in der Lage, tiefschattige Wälder zu besiedeln. Diese zeichnen sich durch ein stabiles, kühl-feuchtes Mikroklima aus. Der Widerbart kann als eine typische "Urwald-Art" gelten. Neben borealen und montanen Nadelwäldern wird die Art vor allem in verschiedenen Buchenwaldgesellschaften angetroffen. Die besiedelten Böden müssen einen Mindest-Basengehalt aufweisen, können aber über sehr verschiedenen geologischen Ausgangssubstraten liegen.

Epipogium aphyllum, Einzelblüte, Schwarzwald-Baar-Kreis, 02.08.2006, Hans Rauschenberger

Der Widerbart ist existentiell von der Erhaltung des Mikroklimas an seinem Wuchsort abhängig. Veränderungen, wie die Auflichtung des Baumbestandes, müssen daher unterbleiben. In der Vergangenheit wurde wiederholt beobachtet, dass Epipogium aphyllum verrottende Stämme und Stubben besiedelt. Stärkeres und damit ökologisch relevantes Totholz ist jedoch heute in unseren Wäldern, gemessen an wirklich naturnahen Zuständen, regelmäßig stark unterrepräsentiert. Damit fehlt der Art eine feuchtigkeitsspeichernde Habitatrequisite, die es ihr ermöglicht, auch ungünstige, weil trocken-warme Perioden zu überstehen. Insgesamt besteht die Gefahr, dass der bereits eingetretene und auch weiterhin erwartete Anstieg der Jahresmitteltemperatur die Existenzbedingungen für diese faszinierende Orchideenart weiter verschlechtern wird.

Den Flyer zur Orchidee des Jahres 2014 finden Sie hier zum Download als PDF-Datei (ca. 6 MB).

Text: Frank Meysel, Arbeitskreis Heimische Orchideen Sachsen-Anhalt

Fotos: Hans Rauschenberger, AHO Baden-Württemberg